Eine kleine Weihnachtsgeschichte

Geschenke auf Origo können nun wieder vom Absender abgeholt werden, wenn diese noch nicht geöffnet worden sind.
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  • Zum Ausklang des 2. Weihnachtsfeiertages (wir tun einfach mal so, als sei die Geschichte gestern Abend gepostet worden)
    hab ich noch eine Weihnachtsgeschichte geschrieben. Wenn ihr Langweile habt, lest sie euch durch.
    Ich freue mich immer über ehrliches(!) Feedback. Viel Spaß!




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    Zielorientiert schritt sie zu ihrem neuen Geschäftswagen. Der Schlüssel klimperte bei jedem ihrer eleganten Schritte in ihrer dünnen und doch brachialen Hand. Der Schnee gab kleine Presslaute von sich, wenn sie ihre Füße darauf setzte. Während sie auf das blitzblanke schwarze Auto zusteuerte, strich sie über ihre gepflegten Hände. Sie blieb an ihrem Ring hängen. Für einen kurzen Moment fing er ihren Blick ein. Sie hatte ihn an ihrem ersten Tag in der Firma „Ringelin“ durch eine Vitrine bestaunt. Schon kurz darauf trug sie ihn an ihren Händen. Er hatte sie von ganz unten bis an eine der obersten Positionen begleitet. Der Ring war fein und bildete den groben Umriss einer Blüte. Die Blüte wurde von hauchdünnen geschnörkelten Linien gefüllt. Ganz in der Mitte war ein kleines Kreuz, besetzt mit wertvollen Steinchen, und es sah aus, als wäre es der Stempel der Blüte. In ihrer Firma wurden wunderschöne und elegante Goldringe entworfen, umgesetzt und schließlich verkauft. Sie entwickelten immer wieder Neues, denn die Mode veränderte sich stetig. Schnell blickte sie auf und strukturierte ihre Gedanken auf das bevorstehende Ereignis. Sie hatte einen wichtigen Auftrag. Prüfend warf sie einen Blick auf ihre teure Uhr. In einer dreiviertel Stunde hatte sie einen Termin mit diesem Herr Seestein, einem komischen Kauz. Doch er zahlte gut, hatte man ihr gesagt. Über eine halbe Stunde wurde ihr erzählt, auf was er besonders aus war. Selbstbewusst lächelte sie. Sie würden einen riesigen Gewinn machen.


    Ihre langen Beine kleideten sich in einer perfekt zugeschnittenen Buissneshose und ihr Blazer hatte sich ihrem Oberkörper angepasst. Als sie ihr Auto aufschloss und den Motor startete, überprüfte sie die Adresse. Baumgartenweg 5. Sie wunderte sich ein wenig, denn auf ihrem Navi sah die Gegend leer und verlassen aus. Doch ihr wurde schon einiges über ihren Kunden erzählt, er war seltsam und undurchschaubar. Aber weil er eine gewaltige Summe versprach, ging man seinen Anforderungen nach und ließ sie zu einem Geschäftsessen vorladen. Sie stellte sich ein gemütliches Lokal vor, das nur rar besucht wurde, aber umso besser für ihre Geschäfte. Als sie schon ein gutes Stück zurückgelegt hatte, klingelte ihr Handy. „Anne“, sagte der Anrufer, „dein Zimmer ist gebucht. Du kannst es ab jetzt jederzeit beziehen.“ Das hatte sie fast schon verdrängt. Nach dem Essen ging es für Anne noch gut 70 Kilometer auf eine Art Weihnachtsmarkt weiter. Er befand sich im reichsten Viertel weit und breit und an Weihnachten wurde besonders fleißig gekauft. Sie blieb eine Woche dort, ihr Unternehmen hatte ihr ein Zimmer gebucht. Annes Mann hatte den Kopf geschüttelt, als sie davon erzählte. Er konnte es nicht fassen, wie sie über Weihnachten wegfahren konnte. Sie schüttelte nun ebenfalls den Kopf. Ist es nicht verständlich, an dem profitreichsten Monat so viel Umsatz wie möglich machen zu wollen? Alternativ hätte sie unnötig die Nadeln von der Tanne herunterstarren können. Anne verstand die Leute nicht, die Stundenlang da saßen und nichts Vernünftiges taten. Wieder schüttelte sie den Kopf und machte die Gedanken für das Geschäftsgespräch frei. Je näher sie dem Ziel kam, desto unbefahrener wurden die Straßen. Es hatte angefangen zu schneien. Die Winterlandschaft zog an ihrem Fenster vorbei und sie beachtete sie nicht weiter. Langsam wurde der Weg undeutlicher. Gut einen halben Kilometer vor dem Ziel blieb ihr keine andere Wahl als stehen zu bleiben. Der Weg verlief sich nach rechts in den Wald, sie aber musste nach links. Nach kurzem Innehalten stieg sie aus. Anne zögerte ein wenig, als sie den dreckig verschneiten Boden sah. Ihre schönen Schuhe! Seufzend stieg Anne aus und tippelte um ihr Auto herum. Sie konnte sich nicht verfahren haben, sie war doch nicht dumm. Ihr würde so etwas niemals passieren, ausgeschlossen. Sie erkannte einen kleinen und schmalen Pfad. Tief ergriffen über den Gedanken an ihre Schuhe setzte sie sich in Bewegung. Anne konnte den groben Umriss eines Häuschens ausmachen. Nach einiger Zeit war es ihr möglich, das Gebilde genauer betrachten zu können. Sie sah ein dämmriges Licht, scheinbar war die Hütte nicht verlassen. War das etwa das Restaurant? Es musste das Lokal sein, was sollte denn sonst dort stehen? Als Anne ankam, musste sie feststellen, dass die massive Eichenholztür verschlossen war. Durch ein Fenster betrachtete sie eine minimalistische Einrichtung. Ein schäbiger Küchenschrank, ein Herd und eine Spüle, ein wackeliger Tisch. An der Wand hing ein Bild, alles was man zum Leben brauchte, aber auch nichts weiter. Kopfschüttelnd stiefelte sie um das Häuschen herum. Es lag einiger Krempel auf dem Boden verteilt, den sie achtlos beiseitetrat. Ihre Schuhe waren so oder so schon hinüber. Wenn sie sie gut versteckt unter dem Tisch hielt, fiel es vielleicht gar nicht auf. Sie müsste nur als erste da sein, damit ihr Geschäftspartner sie nicht reinlaufen sehen könnte. Es musste hier irgendwo sein, vielleicht dahinter? Sie blickte durch eines der kleinen Fenster, die sich um die Hauswand verstreut hatten. Achtlos schlug Anne gegen eine sperrige Mülltonne, sodass sie mit einem lauten Gerumpel umfiel. Ihr Blick war noch immer auf das Fenster fixiert. Sie wollte doch nur einen Kellner sehen, eine Bestellkarte oder einen Gast, irgendetwas. Sie suchte so verzweifelt, dass sie nicht mehr darauf achtete, wohin sie trat. Unter der Mülltonne kämpfte sich ein Türkis schimmerndes Licht aus Nebelschwaden heraus, doch es gelang nicht recht und so blieb es gedämmt. Dieses Spektakel verlieh Ruhe obwohl es die pure Energie in sich speicherte. Annes Fuß tappte inmitten der Nebelschwaden, doch als sie bemerkte, dass es unter ihren Füßen keinen Halt mehr gab, war es zu spät. Schreiend strampelte sie im Leeren, bis ihr die Luft wegblieb und ihre Laute verstummten. Anstatt dass Anne an irgendeiner Betonwand hängen blieb oder aufprallte und sich tödliche Verletzungen zuzog, fiel sie ins scheinbar Unendliche. Ihr Kopf war viel zu überlastet, um einen Gedanken zu ihrem Bewusstsein hindurchdringen zu lassen. Anne sah Farben, die sie nie zuvor gesehen hatte und verlor das Gefühl für Raum und Zeit. Sie konnte weder sprechen noch irgendein Körperteil bewegen oder verarbeiten, was ihr Auge zu sehen bekam. Sie wusste nicht einmal ob sie senkrecht oder waagerecht flog. Irgendwann tauchte ganz unten ein winzig schwarzer Punkt auf, der mit rasanter Geschwindigkeit auf sie zu rollte und immer größer wurde, bis er sie letztendlich verschluckte.


    Als Anne plötzlich ein Gefühl in ihren Armen spürte, schnappte sie nach Luft. Mit einem Mal erhielt sie ihr gesamtes Körpergefühl zurück und musste feststellen, dass sie von eisigem Wasser umgeben war. Ein weiteres Mal rang sie um Luft, fuhr hoch und riss ihre Augen auf. Das Wasser wurde aufgewühlt und schwappte auf noch trockenen Stein. Sie befand sich in einer mittelgroßen und dämmrigen Grotte. War sie gerade auf dem Wasser gelegen? Jetzt strampelte sie wild mit den Beinen, um sich über Wasser zu halten. Anne war so kalt, dass sie an nichts Anderes dachte als aus dem Wasser zu gelangen. Sie suchte eine möglichst flache Steinplatte, doch schon bald gab sie sich mit einem halbhohen Felsen zufrieden. Während des Hochkraxelns rutschte sie immer wieder ab, weil ihre manikürten Hände viel zu zart waren, um sich an etwas Greifbarem festzuhalten. Dann versuchte sie sich immer mit ihren Schuhen abzusichern, doch außer dem merkwürdigen Schleifgeräusch und einem darauffolgendem Platscher passierte nicht viel. Nach einigen Versuchen und vielen Kratzern auf ihren Schuhen gelang es ihr letztendlich. Aus ihren Haaren tropfte das Eiswasser und sie zitterte wie ein Grashalm im Wind. Wütend rupfte Anne sich die Haare aus dem Gesicht und sah sich um. Sie befand sich in einer Grotte, die scheinbar gut besucht wurde. Ein Pfad führte an ihrem kleinen Tümpel vorbei und um einen Stein, der ihr Sichtfeld einschränkte. Es sah aus, als ob winzige Gestalten seit Urzeiten diesen Weg gingen, denn er war von Einkerbungen übersät. Wo war sie gelandet? Wer hatte ihr diesen üblen Streich gespielt? Das Geschäft war versaut. So würde sie Herr Seestein nie unter die Augen treten können. Oder steckte er hinter dem Ganzen? Anne würde ihm alles zutrauen. Nachdem sie ihre Faust mehrfach den Boden spüren ließ, rappelte sie sich auf. Sie würde sich schon nicht so einfach ins Boxhorn jagen lassen. Irgendwie fühlte sie sich beobachtet. Möglichst professionell strich sie über ihre klitschnasse Kleidung und räusperte sich. „Ist da wer?“ Keine Antwort. Sie drehte sich um ihre eigene Achse, bis sie wie angewurzelt stehen blieb. Hinter dem Stein, der den Pfad verschluckte, konnte sie den Bommel einer Mütze ausmachen. Hier war also der Übeltäter. Er hatte einen enormen Schaden zu verantworten. „Raus da, hinter dem Felsen, sofort!“, rief Anne barsch. Anstatt einer traten gleich zwei Gestalten hinter dem Felsen hervor. Sie liefen gebückt, wie als hätten sie etwas ausgefressen oder enorme Angst und tuschelten. „Wie ist das möglich?“ „Wusste sie...?“ Scheinbar waren sie so aufgeregt, dass sie zu laut gesprochen hatten. Anne funkelte die beiden an.


    Schüchtern blieben sie stehen, wagten keinen weiteren Schritt. „Auf, auf! Denkt ihr, ich hätte den ganzen Tag Zeit hier so blöd herumzustehen?“ Wieder tapsten die Wesen ein paar Schritte weiter, bis Anne aus den Silhouetten Körper formen konnte. Es waren kleine, flauschige Fellknäule, die sie mit überdimensional großen Augen anstarrten. Auf ihrem Kopf standen längere Haare ab, aber ob das vom Schreck kam oder normal war, konnte Anne nicht sagen. Sie schauten drein, als hätten sie Angst, aufgegessen zu werden. Die Wesen trugen zerbeulte blaue Latzhosen, die einem der beiden viel zu groß war. Angewidert schüttelte Anne ihren Kopf. Als sie den Rundgang um das Haus antrat, hatte sie noch fünf Minuten bis zum Meeting. Wie viel Zeit war seit dahin vergangen? Ihr Herz setzte für einen Moment aus, als ihr einfiel, dass ihre Handtasche auch im Wasser geschwommen war. Hektisch griff sie hinein und war sehr erleichtert darüber, dass ihr Inhalt darin zwar feucht, aber nicht nass war. Schnell wühlte Anne nach ihrem Handy, um Bescheid zu geben, dass sie sich verspäten würde. Eine solch hohe Position würde sie mit Unzuverlässigkeit schneller verlieren als sie gucken könnte. Als Anne ihr Handy zu fassen bekam, tippten ihre zittrigen Finger mit Lichtgeschwindigkeit die Nummer ihres Chefs ein. Doch der Anruf kam nicht durch, kein Empfang. Schnell hechtete sie in der Grotte mit fuchtelnden Armen herum, doch es war zwecklos. Die Gestalten standen noch immer an Ort und Stelle. „Lasst mich zurück! Habt ihr hier etwa keinen Empfang? Versendet ihr noch mit Brieftauben oder was?“ Anne wurde wütend. Sie wollte einfach nur pünktlich kommen. Langsam senkten die Fellknäule ihre Köpfe. Anne schmiss ihre Handtasche auf den Boden, um den Augenkontakt wiederherzustellen. „Wer seid ihr und … wie seht ihr überhaupt aus?“ Viel zu leise, dass Anne etwas hätte verstehen können, antwortete einer der Beiden, dann legte er seinen verrutschten Träger der Latzhose zurück auf seine Schultern. Der Andere antwortete mit der festesten Stimme, die er wohl je zusammengebracht haben musste. „Wir sind Malis, die Knappen der Weihnachtselfen. Wir helfen ihnen wo wir nur können um euch Menschen das Weihnachtsfest zu ermöglichen.“ Anne lachte auf. „Weihnachten! Pah! Nichts als Faulenz- und Fettwerderei! Es interessiert mich nicht, was ihr hier tut und für wen, ich will zurück in mein Auto!“ Die Malis sahen sich mit noch größeren Augen an und gestikulierten, wer nun reden sollte. Schließlich meinte der mutigere der beiden: „Das geht nicht. Ein Dimensionstor kann nur an Weihnachten generiert werden. In vier Tagen erst. Aber das ist nicht dein größtes Problem, schätze ich.“ Sein Blick wanderte von Annes Gesicht langsam herunter zu ihren Fingern. Plötzlich verharrte sich sein Blick auf einem ihrer Finger und seine Kinnlade klappte herunter. Als er sich zu seinem Freund lehnte, um ihm davon zu erzählen, stampfte Anne auf den Boden um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. Die beiden fuhren auseinander. „Wovon redet ihr? Hört zu, euer Kinderspiel hier interessiert mich nicht. Ich habe einen wichtigen Termin. Lasst mich gehen! Und warum zur Hölle schaut ihr meine Hände an als wären Äpfel dran gewachsen?“ Verzweifelt sahen sich die Beiden an. Einer rückte seine Latzhose wieder zurecht. Nach kurzem Getuschel bedeuteten sie Anne, zu folgen. Sie verdrehte die Augen und tippelte den Beiden nach. Hinter dem Felsen war ein kleines Loch, das in eine weitere Grotte führte. Die drei Gestalten liefen den Pfad entlang, eine ganze Weile, bis er in ein klares Wasserbett mündete. „Hier bekommen wir unser Wasser her“, stammelte der Mali mit der übergroßen Latzhose. Anne ignorierte es und schritt schnell voran. Mit nassen, klebrigen Klamotten kam sie sich wie aus der Unterschicht vor. Sie würde den Verantwortlichen ausfindig machen und zerstören. Sie betraten einen kleinen Höhlenweg, der so niedrig war, dass Anne ihren den Kopf einziehen musste. Doch sie war lieber still, denn im Dunkeln fürchtete sie sich. Als sie nach einigen Schritten Licht in den Tunnel speisen sah, atmete sie erleichtert auf. Anne hörte schon aus dieser Entfernung viele Stimmen durcheinander reden, und ihr wurde komisch, weil sie wusste, was für eine Stille eintreten würde, wenn sie am Ende des Tunnels auftauchte. Doch vor den Malis wollte sie sicher keine Schwäche beweisen, also ging sie in großen Schritten voran. Als sie ankamen, entdeckte Anne einen kleinen Busch als perfekten Sichtschutz, den sie sofort in Beschlag nahm um zu sehen, wen sie dort gehört hatte. Mit offenem Mund stand sie da und versuchte aufzunehmen, was ihr Auge zu sehen glaubte. Abertausende Malis mit denselben blauen Latzhosen und deren zugehörigen Elfen flitzen geschäftig hin und her, alle ganz in ihrem Element. An jeder Ecke des hell erleuchtenden Raums gab es etwas zu sehen. Links unzählige Stände, die riesige Sortimente herausgelegt hatten, überall Malis davor, um sich etwas passendes herauszusuchen. Daneben eine Werkstatt, eine Bäckerei und ein begehbarer mysteriös leuchtender Kasten, der stetig seine Farbe änderte. Am Ende der Halle fand man die Wand, die mit unsagbar vielen Einkerbungen und Figuren gedeckt war. Jede war für sich einzigartig, und doch machte es die ganze Wand aus, die das Kunstwerk vollkommen erschienen ließ. Rechts stand ein größeres Gebäude, aus jenem die Elfen und ihren Malis mit Zetteln herauskamen und sich irgendwohin fortbegaben. Wenn sie jetzt in einzelne Abteile des Raums schaute, erkannte sie überall die Gestalten, die mit einem solchen Fetzen Papier in der Hand umherliefen und etwas spezielles suchten. In der Mitte stand ein prächtiger Weihnachtsbaum mit fertigen Geschenken in Abschnitte unterteilt. Auf der linken Seite stand „Amerika“, rechts fand Anne die Aufschrift „Europa und Asien“. Auch in Asien wurde das Weihnachtsfest immer bekannter, selbst wenn viele der Familien es nicht feierten, einige taten es. Der ganze Raum wurde von lieblicher Weihnachtsmusik erfüllt, vermutlich um die störenden Arbeitsklänge zu übertönen. „Und das habt ihr euch alles selbst aufgebaut?“ Etwas selbstbewusster nickten die zwei Malis, die sich als Puck und Kudy vorstellten. Den Moment des Staunens nutzte Kudy, um die Frage, die er sich von Beginn an stellte, endlich zu lösen. Als er sich räusperte, rückte Puck nervös seine Latzhose zurecht. „Was ich dich noch fragen wollte, woher hast du den Ring?“ Anne blickte auf ihr Schmuckstück und Panik brach in ihr aus. Sie wollte ihre Pflichten erfüllen, auch wenn das hier spannender wurde als sie zunächst erwartet hatte. „Das ist ein Ring aus meiner Firma. Ich trage ihn schon eine ganze Weile. Was spielt das für eine Rolle?“, gab sie schnippisch zurück. Puck und Kudy guckten sich entgeistert an. Puck witschte davon, scheinbar holte er jemand. Unsicher blickte Anne ihm nach. „Weißt du, wie deine Firma in Besitz dieses Ringes gekommen ist? Und, kennst du den Wert dieses Ringes?“ Nervös blinzelte er sie an. „Nein, ich habe ihn in einer Vitrine gesehen, er ist gut 800 Euro wert.“ Ernst schaute Kudy Anne an. „Dieser Ring lässt dich in eine andere Dimension reisen. Nur unsere Weihnachtselfen besitzen einen solchen Ring. Sie kommen damit an Weihnachten auf die Erde und helfen dem Weihnachtsmann, die Geschenke zu verteilen. Vor einigen Jahren geschah ein Unglück“- er wurde von einer Elfe unterbrochen, die auf uns zu stürmte. „Sie hat den Ring gefunden? Woher wusste sie- und wo ist er?“ Anne schaute die Truppe entgeistert an. „Wartet doch, wovon redet ihr? Das ist mein Ring und er gehört mir, ihr müsst ihn verwechseln!“ Noch während ihre letzten Worte verklungen, wurde ihr bewusst, dass es nicht stimmen konnte. Wie sollte sie denn sonst hierher gekommen sein? Allen war klar, dass sie langsam verstand worum es ging. Die Elfe war nicht mehr zu beruhigen, völlig außer sich rannte sie im Kreis umher. Erst jetzt bemerkte Anne, dass die Weihnachtsmusik ausgeschaltet worden war und einige Gestalten zu ihnen starrten. Als die Elfe es bemerkte, rief sie ihnen zu, dass alles in Ordnung sei und sie weitermachen sollten. Nach ein paar Momenten lief die Musik und jeder vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Die Elfe kratzte sich verlegen am Kopf und hielt Anne ihre Hand hin. „Blattwind. Entschuldige meine Auffuhr, aber ich kenne Nico schon lange, und ich mache mir solche Sorgen um ihn!“ Als Anne sie zwar verständnisvoll, aber fragend ansah, ergänzte sie. „Vor ein paar Jahren hat Nico seinen Ring beim Verteilen der Geschenke verloren. Ohne ihn konnte er nicht zurückkehren. Und so musste er auf der Erde blieben und den Ring suchen, ohne dass ihn je ein Mensch zu Gesicht bekam. Wir sehen ihn jedes Weihnachten, weil er zum Tor läuft. Aber seit zwei Jahren ist er einfach nicht mehr da gewesen.“ Anne betrachtete ihren Ring und versuchte sich vorzustellen, was passiert war, bevor er bei Ringelin in der Vitrine lag. Etwa vor zwei Jahren hatte sie ihn sich glücklich an den Finger gesteckt.


    Benommen saß sie da und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ohne es weiter zu hinterfragen folgte Anne der Elfe, die sie in einen Raum brachte, damit sie schlafen konnte. Sie schmiss ihre verdreckten und zum Teil kaputten Klamotten über den schäbigen Stuhl. Als sie im Bett lag, versuchte sie ihren Kopf zu ordnen. Wie würde sie das ihrem Chef erklären? Sie würden Anne nicht für voll nehmen. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie die Existenz dieser Wesen gar nicht hinterfragt hatte. Dass es Dimensionstore gab und dass die Gestalten darin reden konnten. Ihre Welt drehte sich, alles war durcheinander geraten. Sie hatte sich immer nur mit ihren Problemen herumgequält, aber über die Problematik ihrer Ankunft hatte sie nicht einmal nachgedacht. Anne könnte nach ihrer Rückreise die Existenz der hier Lebenden gefährden, wenn auf einmal tausende Reporter vor dem Eingang in die andere Welt ständen. Sie machten aber nicht den Eindruck, als würde sie hier festgehalten werden. Anstatt feindselig zu reagieren hatten sie sich nach der anfänglichen Angst offen gezeigt. Als die anderen Malis die Truppe entdeckt hatten und wieder zum Arbeiten aufgefordert wurden, ging alles seinen gewohnten Gang und keiner schielte zu ihnen herüber. Anne war überwältigt von dieser Welt, die sie vorher nicht einmal hätte träumen können. Wie sehr sie immer nur in ihrer eigenen kleinkarierten Welt gelebt hatte. Plötzlich hinterfragte sie alles. Anne kam sich wahnsinnig dämlich vor, zum einen, weil sie so viel übersehen hatte, und zum anderen so zerbrechlich zu sein und einzuknicken. Aus diesem Kummer heraus schlief sie ein.


    Am nächsten Morgen wurde sie von einem zaghaften Klopfen geweckt. Puck trat herein und brachte Anne etwas zu essen. Verlegen rückte er seinen Träger zurecht. „Du wirst erwartet, am Weihnachtsbaum.“ Er lächelte sie vorsichtig an, sie gab es zurück und fuhr einmal sanft durch sein wuscheliges Fell. Etwas mutiger zeigte er auf den Stuhl. „Wir haben dir Klamotten angefertigt. Sie sind gewiss nicht schön, aber halten warm und sind bequem.“ Anne musterte den Stuhl und war angetan. Sie bedankte sich und wollte sich gleich auf den Weg machen. Man hatte ihr mit viel Mühe und aus weichen Stoffen einen Ganzkörperanzug genäht, der tatsächlich sofort Wärme spendete und sie kam sich vor, als würde sie gemummelt in einer Decke laufen. Auf dem Frühstückstablett befanden sich etwas liebevoll Gebackenes, ein Kakao und eine Frucht, die sie noch nie gesehen hatte. Sie schmeckte wie eine Mischung aus Erdbeere und Ananas, sah aber eher wie eine Traube aus. Gestärkt stand sie auf und machte sich fertig. Kurz vor dem Herausgehen fuhr sie noch einmal über den Ring. Sie hätte niemals gedacht, dass der Ring so viel Wert besaß. Anne wünschte, Nico zu finden um ihm den Ring zurückgeben zu können. Als Anne am Weihnachtsbaum ankam, lächelte Blattwind sie schon von Weitem an. Sie erzählte Anne, dass sie mit Puck, Kudy und ihr bis Weihnachten unterwegs sei. Dann würde sie gemeinsam mit den anderen Elfen zurückreisen. Der Weihnachtsmann war informiert und würde es bei der Vollversammlung mittags erwähnen. Blattwind führte sie zu dem komischen Kasten, den Anne schon am Vortag hatte begutachten können. Er sah sehr modern aus, weil er alle fünf Sekunden in einem fließenden Übergang die Farbe wechselte. Als sie eintraten, schlug Anne eine Wand voller Monitore entgegen. Einige Elfen standen davor und tippten etwas ein. An einem Monitor sah sie Puck und Kudy stehen, die sich gerade Einblick in ein Wohnzimmer verschafften. „Es sieht ganz genauso aus, wie du denkst. Wir können Familiennamen eingeben und sie beobachten.“ Anne stand sprachlos da und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Der Gedanke, in jedem Moment ihres Lebens überwacht worden zu sein, verunsicherte sie enorm. Blattwind konnte ihre Fassungslosigkeit nachvollziehen. „Wie sollten wir auch sonst an die Kinderwünsche kommen? Es gibt keine Himmelsstraße, oder wohin auch immer Wunschzettel geschickt werden. Zumindest kommt hier keiner an. Unsere Geschenkeverteiler können wir übrigens nur mit Ring orten, sonst hätten wir das bei Nico längst gemacht.“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Noch etwas misstrauisch gab Anne auf der Tastatur ihren Nachnamen ein. Und tatsächlich, ihr Mann saß am Tisch und spielte mit ihrer kleinen Maus ein Rechenspiel. So klein war sie gar nicht mehr. Wie die Zeit verging, es kam Anne wie Gestern vor, als ihre Tochter noch ein Baby war. Mit einem Mal überkam sie wieder das Gefühl von gestern Abend, als sie erkannte, viel verpasst zu haben. Wann hatte sie das letzte Mal etwas mit ihrer Familie unternommen? Sie konnte sich, wenn sie ganz ehrlich war, nicht einmal mehr daran erinnern. Beide sahen irgendwie traurig aus. Die Wohnung war halbherzig geschmückt worden und ein kleiner, schiefer Tannenbaum stand in der Ecke. Tränen rollten Anne über ihre Wange, sie wollte nicht mehr zu einer der Etepetete Veranstaltungen, sondern mit ihrer Familie Zeit verbringen. Puck und Kudy wurden von Blattwind weggeschickt. Anne wollte ihre Tochter in den Arm nehmen und sich nicht noch mehr Unbezahlbares rauben lassen. Blattwind legte ihre Hand auf Annes Schulter und so standen sie noch eine Weile schweigend da, weil kein Wort gesprochen werden musste und beide verstanden, was der Andere fühlte. Blattwind nahm Anne mit hinter das Gebäude der Zettelvergabe. Ein halbhohes Tor befand sich dahinter. Blattwind drückte die Klinke herunter und eilte die dahinter hervorgekommene Wendeltreppe herauf. So schnell es Anne gelang, versuchte sie ihr zu folgen. Wieder stieß Blattwind eine Tür auf und Tageslicht schlug den Beiden entgegen. Anne atmete schwer. Hier draußen war nicht die kleinste Spur von Winter zu erkennen, im Gegenteil, es wirkte eher wie Frühsommer. Die beiden ließen sich auf den nächstbesten Hügel fallen und genossen das Tageslicht. „Wo wärst du jetzt, wenn du nicht hier wärst?“, wollte Blattwind wissen. „Auf einem Weihnachtsmarkt für Reiche, Ringe verkaufen.“ Blattwind setzte sich auf. „Über Weihnachten?“ Anne nickte. „Dezember ist der Monat des Jahres. Man muss ihn einfach nutzen. Ich halte nichts von Weihnachten, wenn ich ehrlich bin.“ Blattwind musste sich sichtlich zusammenreißen, nicht völlig entsetzt zu schauen. „Was ist mit deiner Familie?“ Anne antwortete nicht, weil sie nicht wusste, was sie hätte sagen sollen. Es hatte sie tief berührt, ihre Familie so einsam zu sehen. Aber würden sie nicht ohne sie zurechtkommen? Jetzt, weg von dem Monitor, dachte sie wieder ein wenig kritischer. Sie half Blattwind später noch beim Plätzchen backen, doch sie war so in Gedanken, dass sie Salz und Zucker vertauschte. Blattwind patschte ihr nur auf die Schulter und sprach ihr gut zu. Nachdenklich legte Anne ihren Ganzkörperanzug wieder über den Stuhl und streifte die Mehlrückstände von ihm. Würde sich tatsächlich etwas ändern, wenn sie wieder zurück war? Kurz bevor sie einschlief, kam Puck herein und erkundigte sich nach ihr. Sie strich ihm über sein flauschiges Fell und rückte den Träger seiner Latzhose zurück auf seinen Platz.


    Nach dem Frühstück am nächsten Tag machte sie sich gleich an die Arbeit. Sie half Kudy in der Werkstatt, buk mit Blattwind eine neue Fuhre Plätzchen und bearbeitete Wunschzettel mit Puck. Auf einmal hörte sie ein dumpfes Geräusch neben sich. Schnell sah Anne nach und half dem gestolperten Puck wieder auf. Scheinbar war neben seinem Träger auch das Hosenbein zu lang. Als sie alle zusammen noch Annes Familie beobachteten und sich alle ins Bett verabschiedeten, schlich sie noch zum Nähstand. Sie konnte es nicht länger mit ansehen, wie der arme Puck immer wieder durch seine Latzhose verhindert wurde. Sie gab sich viel Mühe, einen möglichst identischen Anzug zu nähen wie die anderen Malis ihn trugen. Müde fiel sie ins Bett und freute sich auf den nächsten Tag.


    Als sie morgens aufstand, konnte sie es kaum erwarten, zu ihrer Familie zurückzukehren. Das wurde ihr mit jedem Tag, den sie hier festsaß, bewusster. Anne zog ihre Arbeitsklamotten wieder an, damit keiner auf der Erde Verdacht schöpfte. Es stand außer Frage, dass sie der Bitte dieser Welt folgte, und ihre Existenz geheim hielt. Um die Zeit totzuschlagen half sie Puck, Kudy und Blattwind beim Geschenkepacken, sortieren und beim Last-Minute-Wünsche in Empfang zu nehmen. Sie hatte vor, eine Menge in ihrem Leben zu ändern, wenn sie erst wieder zu Hause war, weil sich ihre Ansichten über die Welt geändert hatten. Anne hatte schon viel Zeit mit Kleinkariertheit verschwendet und wollte nun voll und ganz für ihre Familie da sein. Sie hoffte, heute Nico vor dem Tor anzutreffen, um ihm eine Rückreise zu ermöglichen.



    Als es Abend wurde und sie Abschied nehmen musste, umarmte sie Kudy und Puck. Als Puck seine neue Latzhose sah, strahlte er über das ganze Gesicht und seine überdimensional großen Augen begannen zu leuchten. Alle Elfen standen vor dem Portal und warteten darauf, dass der Weihnachtsmann es aktivierte. Anne fuhr noch einmal den Beiden über ihr wunderbar flauschiges Fell. Dann schoss ein Energieblitz auf das Tor zu und es erstrahlte im selben lilaschimmernden Ton, wie es schon bei der Mülltonne vorzufinden war. Entschlossen trat sie mit Blattwind an der Hand ein. Sie schloss die Augen und versuchte, die Reise zurück möglichst glimpflich zu überstehen. Da Anne darauf vorbereitet war, war es nicht ansatzweise so schlimm als ihre Ankunft. Später, als sie ankamen und Anne aus dem lilafarbenen Loch gekrochen kam, half sie den anderen Elfen hoch und stellte die Mülltonne wieder an ihren Platz zurück. Zwar würden normale Menschen dieses Loch nicht wahrnehmen, aber Sicherheit ging vor. Sie winkte den Elfen, die anfingen, sich auf dem Feld zu verteilen um in unterschiedliche Orte zu fliegen. Wenn sie ihre Geschenke ausgeteilt hatten, flogen sie zurück und holten die nächste Fuhre. Plötzlich hörte sie hinter sich ein kreischendes „Nico!“ und sie fuhr herum. Ein Elf, die schwarzen Haare tief ins Gesicht gekämmt, umarmte Blattwind. Er sah unendlich müde aus. Die Beiden standen für Minuten regungslos da. Dann lösten sie sich und tauschten überglücklich die Geschehnisse der vergangenen Jahre aus. Sie sprachen über den Ring, und was mit Anne geschehen war. Schmunzelnd ging sie auf die Beiden zu, zog den Ring ab und überreichte ihn Nico. Der stand da und konnte sein Glück nicht fassen, er wusste sich nicht besser zu helfen als Anne ganz fest zu umarmen. „Frohe Weihnachten. Nun geh und hilf deinen Freunden!“ Dankbar nahm er Annes Hand, schaute ihr fest in die Augen und verschwand. Blattwind überreichte Anne zum Abschied ein schönes Amulett. Ein letztes Mal schlossen sie sich in die Arme und dann machte sich Anne auf den Weg zu ihrem Auto. Sie blickte an sich herunter. Die Elfen hatten ihre Kleidung gewaschen, im Fluss, und es hatte sie nicht gestört. Ihre Schuhe waren kaputt, doch es gab so viel Wichtigeres als das. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Familie zu überraschen. Anne fuhr schnell nach Hause. Ihre Familie freute sich über die frühzeitige Rückkehr von der „Geschäftsreise“ und sie feierten das erste Mal seit Langem ein unvergessliches Weihnachten. Sie hatte einen Job unter der Führungsebene beantragt um mehr Zeit für sich zu haben. Ihr war auf dem Weg zu Herr Seestein plötzlich schlecht geworden. Das Amulett trug sie von dort an immer um ihren Hals, um sich stets daran zu erinnern, dass es neben ihrer Arbeit noch viel Interessanteres gab.


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    So, ich wünsche euch noch einen wunderschönen Tag, hoffe, das die Geschichte okay war und verabschiede mich hiermit. :)

    "Float on the clouds together but don't look down, not ever

    don't ask why, just look out into forever"


    LP - Tightrope



  • Wow. Echt nicer Text! Gefällt mir sehr! Stimmig und weihnachtlich.
    Genauso wie die Geschichte von Stillerfreund (ihr seit doch irgendwie verwandt oder?)
    Hast du/habt ihr euch schon mal überlegt in die Zeitung von Terraconia zu kommen? Wir können gute Geschichtenschreiber gebrauchen.
    Was sagt denn unser Chefredakteur? @Dustin_K


    Den Eid haben feierlich geschworen:
    - Luzern
    - Luzern-Modern
    - Bern
    - Urdingen

  • WOW, ein Hoch auf diese kreative Ader. Allein die Länge ist schon beachtlich. Ein GROßES Lob von mir. :)


    Achja, da ich nach 10 std. der erste bin der hier Antwortet, zumindest sehe ich keine anderen antworten, Entschuldige ich mich in vorraus, sollte man hier nicht Antworten dürfen.

  • Wow. Echt nicer Text! Gefällt mir sehr! Stimmig und weihnachtlich.
    Genauso wie die Geschichte von Stillerfreund (ihr seit doch irgendwie verwandt oder?)
    Hast du/habt ihr euch schon mal überlegt in die Zeitung von Terraconia zu kommen? Wir können gute Geschichtenschreiber gebrauchen.
    Was sagt denn unser Chefredakteur? @Dustin_K



    Ich bin Stillerfreund, hab mich umbenannt. Ich würde euch gerne unterstützen, falls es von eurer Seite in Ordnung geht :)

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    don't ask why, just look out into forever"


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